Massgebend

Prof. Wolfgang Döring erwartet uns pünktlich in seiner Loftwohnung in Düsseldorf Oberkassel, einem offen gestalteten Raum mit bestem Licht. Wie erwartet ist das geradlinige Gebäude von ihm geplant. Auch mit 84 besteht er offensichtlich auf die konsequente Architektur, für die er sein Leben lang ausgezeichnet wurde. So sieht also die Wohnung des Kunstliebhabers und Weltenerkunderers aus, durchdacht minimal, aber belebt. „Ein Architekt ist eine öffentliche Person“, dank dieser Überzeugung dürfen auch wir das Private um Prof. Wolfgang Döring aufnehmen.

In den letzten 35 Jahren scheint er sich kaum verändert zu haben. Seinerzeit war Michael Krieger an der renommierten RWTH Aachen einer seiner Schüler für Entwerfen und Bau- technik und wurde von Döring maßgebend geprägt.

Der Professor nennt Michael beim Vornamen, siezt ihn aber. Das schafft die Nähe, die ihn offenbar mit einigen ausgewählten seiner Schüler verband. Gleichzeitig bleibt eine respektvolle Dis- tanz, die ihm ebensogut steht und etwas Nobles hat. Beide haben sich Jahre nicht gesehen. Ihre lange Wertschätzung füreinander ist sofort wieder spürbar und herzlich. Das Gespräch beginnt ohne Anlauf.

Der Architekt hat gestalterisch das Sagen – kein anderer!

Das war ihm eine Grundvoraussetzung für den Auftrag und dafür schickte er Bauherren auf Erkundungstour in die USA, bevor sie sich für ihn entscheiden sollten. Völlig klar, so eine Haltung verpflichtet. Die Planer in seinem Büro mussten liefern, wollten sie ihn überzeugen! Ganz in der Tradition seines Lehrers Egon Eiermann gab es als Gegenleistung immer viel Fachwissen und oft gute Laune. Das Entgelt dagegen beschränkte sich manchmal nur auf Naturalien. Denn nicht jeder Bauherr verstand diese selbstsichere Aufgabenverteilung sofort, so dass mitunter schon mal der Honorarfluss riss. Michael aß wohl des öfteren bei ihm zu Mittag.

In den 80ern und 90ern machten sie sich alle unter eigenen Namen selbständig: Ingenhoven Overdiek und Partner, Prof. Karl-Heinz Petzinka oder Krieger Architekten und Ingenieure hießen sie dann. Prof. Döring schmunzelt, während er sich kunstvoll über das Problem von Mitbewerbern aus eigener Schule echauffiert. Aus den Augen verloren habe er keinen.

Der Teppichboden in der Wohnung überrascht. Seine Frau war wohl eine der wenigen, die gegen seine Überzeugung Argumente fand. In der Wohnung ist viel von ihr. Mit den Stehrümchen in der aufgeräumten Vitrine nimmt er uns mit auf eine Zeitreise rund um den Globus. Wieder fehlt sie ihm, nicht aber in den Geschichten. Wolfgang Döring kann erzählen. Das hatte er als junger Mann schon früh nach dem Krieg geübt, als er reiste und seine Berichte an die „Düsseldorfer Nachrichten“ verkaufte, um damit die Reise zu finanzieren. 

Heute würde man wohl Reiseblog dazu sagen.

Er hat den Blick des scharfen Beobachters, der viel mehr gesehen hat, als wir uns heute überhaupt vorstellen können. Jahrgang 34, sein Leben begann in Berlin. Vielleicht einer der Gründe für die Härte, mit der er Menschen gegenüber tritt, die fahrlässig ungenau sind. Auch Verspieltes ist ihm fremd. Einmal bewarb sich einer aus Karlsruhe. Auf die Frage, wie er denn die Stunden seit der Ankunft in Düsseldorf verbracht hatte, antwortete der, er habe am Medienhafen die Frank Gehry-Bauten bewundert. Damit war das Bewerbungsgespräch beendet.

Gerne schimpft er über Baugenehmigungsverfahren und schützenswerte Vögel, an denen die gelungensten Grundrisse scheiterten. Der Auftrag damals in Moskau sei da viel besser gewesen. Dort, wo seine Zeichnung Raum brauchte, standen Wohnungen – jedoch nur bis zu seinem nächsten Besuch ein paar Wochen später. Paradiesische Bedingungen für gute Architektur, das war sein Maß. Leider endete das Projekt abrupt, als Jelzin auf den Panzer stieg. Während er das auf die sympathischste Weise vorträgt, ist man sich nie ganz sicher, wie er es tatsächlich meint. So geht es weiter, an Kunstwerken und Erinnerungen entlang, mit seinem Freund Günther Uecker teilt er sie oft.

Der Nachmittag endet genauso herzlich wie er begonnen hat. „Bitte grüßen Sie mir Ihren Vater, Michael“. Bevor wir gehen, drückt er uns zwei Postkarten aus dem Deutschen Architekturmuseum in die Hand. Das sei seine Werbung, die gäbe es für 1,50 EUR an der Museumskasse. Unsere verdutzten Blicke quittiert er lausbubenartig und überreicht uns dann doch noch ein Büchlein. Wolfgang Döring, 2017. Es sind seine Memoiren. Bis spät in die Nacht werde ich darin lesen, ich kann es nicht weglegen. Michael geht es ebenso. Wolfgang Döring hätte an diesem Tag noch viel zu erzählen gehabt.

An einem Junitag 2018 in Düsseldorf.

Text: Carsten Köchel
Fotos: Martin Steffen

Portraits aus dem KRIEGER Jubiläums-Buch